Ein Juwel: Angebotsfahrt nach Weimar-Buchenwald-Erfurt
Nach dem Pfingstwochenende begaben sich 49 Neuntklässler:innen des Gymnasium Laurentianum unter der Leitung von Lars Boesenberg, Karl Feldhoff und Sigrid Horstmann auf eine aufwühlende und kontrastreiche Exkursion nach Thüringen.
Im Zentrum der dreitägigen Exkursion stand die Frage, unter welchen Bedingungen Kultur und Menschlichkeit gelebt werden, und wann Menschen zu Grausamkeit und Barbarei fähig werden. Dieser Frage ging die Exkursionsgruppe in einem emotional kontrastreichen Programm nach.
Zunächst stand in Weimar eine Frau im Mittelpunkt des Programms: Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach. Sie war es, die die Hauptstadt ihres kleinen Staats, Weimar, zur kulturellen Blüte führte. Bis heute gilt Weimar deswegen als „Kulturhauptstadt“ Deutschlands. Anna Amalias Freiheitsideen, ihre Humanität und Weltoffenheit ließen Weimar zu einem Mekka der Denker und Dichter werden, die sich dort entfalten konnten, während im Rest Deutschlands politische und geistige Unfreiheit herrschten. Anna Amalias Sohn, Carl August, führte diese freiheitliche Politik fort, lockte unter anderem Goethe und Schiller in die Stadt und prägte diesen Ort der Lebendigkeit, Offenheit, Humanität und Kultur der Weimarer Klassik.
Der Besuch der weltberühmten Anna-Amalia-Bibliothek und Goethes Wohnhauses vertieften diese Eindrücke, während in Anna Amalias Stadtresidenz, dem Wittums-Palais, eine Schülergruppe in die Kleidung der Zeit schlüpfen konnte, um den Geist der Zeit spielerisch nachzuempfinden.
In einer Abschlussreflexion wurde der Zusammenhang zwischen Freiheit und Kultur diskutiert, und gemeinsames Ergebnis war, dass Kultur ohne Freiheit nicht möglich ist.
Am folgenden Tag stand der emotionalste Teil der Exkursion an, der Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald. Leitender Gedanke war, wie vom ehemaligen Buchenwaldhäftling Józef Szajna formuliert, „Es gab nicht Teufel und Menschen, sondern Menschen und Menschen“. Dass „ganz normale Menschen“ nicht nur zu Tätern wurden, sondern die ohnehin unmenschlichen Regeln und Bedingungen des Konzentrationslagers durch negative Kreativität, Machtstreben und Sadismus noch steigerten, löste bei den Schüler:innen erneut Fassungslosigkeit und Entsetzen aus und führte zu emotionalen Fragen.
Zugleich irritierte die Schüler:innen, dass SS-Offiziere ein „ganz normales“ Leben führten und nach ihrem Dienst in die Theater Weimars gingen oder sich liebevoll ihren Familien widmeten oder sich mit ihren Familien am Wochenende im „Zoologischen Garten Buchenwald“, einen Zoo, der von erpressten Geldern der Häftlinge erbaut wurde, vergnügen konnten.
Auch die perfide Strategie der SS, nicht alle Häftlinge gleich zu behandeln, sondern mittels Belohnungen und Strafen eine Häftlingshierarchie zu etablieren mit dem Ziel eines Überlebenskampfes von Häftlingen gegen Häftlinge, sorgte für Entsetzen und Diskussionen.
Eine auf dem Lagergelände installierte schlichte Bodenplatte aus Metall, die zum Gedenken der Opfer und der Mahnung an die Menschlichkeit stets auf 37 Grad Celsius temperiert ist, löste vor diesem Hintergrund entsprechend emotionale Reaktionen der Schüler:innen aus, ebenso der Besuch des Krematoriumsgebäudes. Erschüttertes Schweigen und manche Tränen prägten diesen Teil der Exkursion.
In einer Abschlussreflexion wurde deutlich, dass auf das Erlebte keine befriedigende Antwort gefunden werden kann. Umso dringlicher erschien als Fazit, wachsam zu sein, eine humane und diverse Gesellschaft zu bewahren.
Dass genau der Ort des Konzentrationslagers einmal ein Naherholungsgebiet der Weimarer war, in dem auch Goethe dichtend und denkend spazieren war, ließ den Kontrast zwischen Menschlichkeit und Kultur einerseits und zügelloser Barbarei am selben Ort umso deutlicher werden, genauso die Erkenntnis, dass es nicht viel braucht, dass eine offene, zivilisierte Kultur in ihr Gegenteil abdriftet.
Fassungslosigkeit und Irritation löste der Besuch des Erinnerungsorts „Topf & Söhne“ in Erfurt am folgenden Tag aus. Diese Firma baute die Öfen für die Krematorien in Auschwitz, Buchenwald und anderen Konzentrationslagern sowie die Entlüftungsanlagen der Gaskammern in Auschwitz. Dies geschah nicht aus ideologischer Überzeugung oder unternehmerischem Gewinnstreben, sondern vor allem aufgrund der Konkurrenz zweier Ingenieure des Unternehmens um Anerkennung für die beste technische Lösung bei der Realisierung des Vernichtungsprozesses.
Die Schüler:innen setzten sich mit der Frage nach dem Gewissen der Ingenieure und der Geschäftsführung auseinander und waren von deren Rechtfertigungsversuchen in der Nachkriegszeit ebenso erschüttert wie der Tatsache, dass die Firma das Modell der Verbrennungsöfen der Konzentrationslager nach dem Krieg als Müllverbrennungsofen in Westdeutschland zu verkaufen versuchte.
Bei einem abschließenden Rundgang durch die wunderbare mittelalterliche Altstadt Erfurts und dem Besuch der ältesten erhaltenen Synagoge Europas nördlich der Alpen stellte sich eine Frage zum letzten Mal: Warum haben die Bürger Erfurts, die weltoffen waren und Juden als Teil der Stadtgesellschaft respektiert haben, dennoch 1349 in einem spontanen Pogrom alle etwa 900 Juden der Stadt ermordet? Die offenen Fragen und den Gegenwartsbezug nehmen die Teilnehmenden als prägende Erfahrung von der Exkursion mit.